Bezugsquelle: Universal Edition
Beschreibung
"Für das Schaffen von Georg Friedrich Haas ist vor allem die minutiöse Arbeit an der Gestalt des Klanges bestimmend. „Die Liebe zum Erklingenden, die Liebe zu den Klängen, die sich wie Lebewesen in Raum und Zeit entfalten", schrieb er in seinen Anmerkungen zum Komponieren, „ist für mich eine der Grundvoraussetzungen meiner Arbeit". Ähnlich wie etwa Giacinto Scelsi – aber eben mit dem Unterschied, dass er den Klang über präzise notierte Partituren gestaltet – richtet Haas sein Augenmerk auf die Möglichkeiten der Mikrotonalität und das komplexe Innenleben der Klänge (etwa das Zusammenwirken verschiedener Ober- bzw. Teiltöne), um Klangwelten und harmonische Färbungen jenseits des traditionellen Systems der elf temperierten Halbtonschritte zu erschließen. Neben Scelsis Klangexperimenten und den mikrotonale Konzepten etwa eines Harry Partch oder James Tenney sind es vor allem Ivan Vyšnegradskijs Entwurf einer „Ultrachromatik" und dessen Vorstellung von einem durch kleinste, kaum mehr unterscheidbare Tonhöhen unterteilten Klangkontinuum, die Haas' Musik nachhaltig prägen. Als ebenso elementar erwies sich für ihn die Erkenntnis, dass uns mikrotonale Abstufungen so fremd eigentlich gar nicht sind: weder in der Musik – auch der mitteleuropäischen –, da die Interpreten meist unbewusst mit geringfügigen mikrotonalen Abweichungen intonieren und so erst den Klängen ihren Reiz verleihen, noch in den komplexen Geräusch- und Klangwelten des Alltags oder in der uns vertrauten Sprachmelodik mit ihren kleinsten Tonhöhenabstufungen. Haas leitete daraus die Konsequenz ab, solche Mikrointervallik nicht als „Verzerrung" des temperierten Systems aufzufassen, sondern sie als selbstverständliches, kompositorisch bewusst eingesetztes musikalisches Material zu nutzen.
Dies gilt auch für den Zyklus ...wie stille brannte das Licht für Sopran und Kammerorchester. Die Gesangsstimme, die Haas – inspiriert durch Sarah Wegeners enormen Tonumfang und ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten in der präzisen mikrotonale Intonation – der Solistin der Uraufführung gewissermaßen „auf den Leib" geschrieben hat, tritt in zweierlei Gestalt in Erscheinung. Sie ist einerseits in den Stücken Nr. 2, 4, 5 und 7, denen Gedichte von Georg Trakl, Theodor Storm, August Stramm und Else Lasker-Schüler zugrunde liegen, verhältnismäßig konventionell an den Text gekoppelt, wobei eben auch die Vierteltöne und Glissandi auf Entsprechungen in der Sprachmelodik zurückgehen und so eben nicht „unnatürlich" klingen sollen. Auf der anderen Seite nimmt die Vokalstimme zeitweilig quasi „instrumentale" Züge an, besonders in den wie instrumentale Vor- bzw. Zwischenspiele wirkenden Stücken 1, 3 und 6, in denen sie nicht auf einem semantischen Text beruht, sondern ausschließlich Vokalisen auf verschieden gefärbten Lauten entwickelt. Die Harmonik des Orchestersatzes ist dabei entsprechend subtil gearbeitet, beispielsweise in den auskomponierten Obertonskalen und den daraus resultierenden Schwebungseffekten (im sechsten Stück), den Mixturen des zweiten Stückes, die Einflüsse der Musik Oliver Messiaens verraten oder den komplexen Akkordschichtungen, die mehrfach auf den sogenannten „Vyšnegradskij-Akkord" und seine Varianten zurückgehen."
Andreas Günther, Werkeinführung, Universal Edition, abgerufen am 22.09.2021 [https://www.universaledition.com/georg-friedrich-haas-278/werke/wie-stille-brannte-das-licht-13059]
Widmung: für Sarah Wegener
Uraufführung
28. Februar 2013 - Philharmonie Luxembourg (Luxemburg)
Veranstalter: Espace Découverte
Mitwirkende: Sarah Wegener (Sopran), Cornelis Witthoefft (Klavier)
Empfohlene Zitierweise
mica (Aktualisierungsdatum: 22. 9. 2021): Haas Georg Friedrich . … wie stille brannte das Licht. In: Musikdatenbank von mica – music austria. Online abrufbar unter: https://db.musicaustria.at/node/196508 (Abrufdatum: 24. 11. 2024).